Musik
Gedanken zur Musik...

  Hier können Sie einmal die Gelegenheit nutzen, um Ihre bisherige Sichtweise von Musik zu überdenken - wenn Sie sich auf die Gedanken einlassen.

Wenn man Ihnen die Frage stellen würde, was Musik ist - was würden Sie dann antworten?
Vermutlich würden Sie sagen, daß Musik etwas sehr schönes ist, daß Sie Musik zu Hause auf Ihren CDs haben, daß Sie auch gerne mal auf ein Konzert gehen und vielleicht sogar selbst etwas Musik machen und dabei ein oder mehrere bestimmte Instrumente bevorzugen, daß es in der Musik Moll und Dur gibt, und weitere Elemente wie der Quintenzirkel (c,g,d,...) fallen Ihnen ein.
Aber schon bei der Beantwortung der Frage haben Sie sicher gemerkt, daß Sie zwar täglich mit Musik zu tun haben, aber was Musik eigentlich ist, diese Frage ist schwer zu beantworten.
Wenn ich Sie jetzt bitte, nochmal darüber nachzudenken und dann nochmal diese Frage zu beantworten, vielleicht antworten Sie dann etwa so, „daß es Musik von Natur aus gibt“ und „wenn man auf einem Instrument spielt, diese Schallwellen in unser Ohr eindringen, wir es dann als Musik hören und es als angenehm oder unangenehm empfinden“ - einfach weil es so ist.

Dann haben Sie zwar etwas über den Vorgang und über Erscheinungsformen von Musik genannt, aber was Musik nun ist, ist damit immer noch unklar. Außer vielleicht die Aussage, daß Musik „von Natur aus“ vorhanden ist - denn damit ist Musik keine menschliche Konstruktion, die erst erschaffen werden mußte, sondern beruht auf „Naturgesetzen“.
Aber ob das auch so uneingeschränkt gültig ist?? Oder ist Musik doch ein menschliche Konstruktion, und wenn ja wie weit??

Erweitern wir die Frage ein wenig: Stellen Sie sich vor, eines Nachts landen Außerirdische vor Ihrem Haus und dringen in Ihr Zimmer ein. Sie wollen sich über die ganze Erde informieren, und bitten Sie u.a. auch darum, zu erklären, was Musik ist.
Merken Sie, worin ein weiteres Problem besteht? Wenn Sie sich darüber Gedanken machen, wie man Musik der gesamten Erde erklären kann, dann fallen einem auch Kulturen ein, die eine ziemliche fremde Musik haben, die ungewöhnlich und „unschön“ für uns klingt. Aber dies ist ja auch Musik, man kann also viele Argumente von dem, was man selbst für Musik hält, gar nicht anbringen.
Das liegt darin, daß wir Musik viel zu sehr aus der Sicht unserer Kultur heraus wahrnehmen, und womit schon klar ist: Musik ist, was so gerne übersehen wird, Kulturabhängig! Also ist die Musik, wie wir sie kennen, nicht so in der Natur verankert.
Aber wie ist sie dann, gibt es eine Grundform?
Über die „Theorie“ der Musik diskutieren die Menschen schon seit Beginn an - es wurden verschiedene Theorien und Modelle entwickelt, die immer wieder durch neue ersetzt wurden.
In der Antike und im Mittelalter sah man die Töne und das System der Töne auf einer mathematischen Grundlage: Wenn man die physikalischen Schwingungen jedes (reinen) Tones vergleicht, entdeckt man, daß die Töne, die das grundlegende Tonsystem bilden und konsonant, also „klar“, klingen, die einfachsten Schwingungen und Proportionen haben.
Im 18. Jahrhundert entwickelte man eine Theorie auf den Obertönen aufbauend - das sind Töne, die mit jedem Ton in einer bestimmten Reihe über ihm miterklingen - und verwarf das alte Prinzip als „nichtssagend“ über die Konsonanz. Die Obertonreihe ist immer gleich, und man entdeckte, daß auch hier die grundlegenden Töne die ersten sind, die auf den jeweiligen Ton folgen und zusammen sogar den Dur- Dreiklang bilden. Man sah also die Obertonreihe als Ausdruck für Konsonanz an.

Allerdings kann diese Theorie viele Differenzen auch nicht erklären, und der Dur- Akkord ist nicht aus der Natur, sondern aus der Geschichte heraus entstanden.

Eine weitere Frage, um einen anderen Blickwinkel auf die Musik zu bekommen: Ist „die Musik“ eigentlich auf Ihrer CD „drauf“? Eigentlich schon.... aber auch nicht, denn Musik ist auf Ihrer CD genausowenig wie in einem Radio - dort sind nur andere „Erscheinungsformen“ von Musik. Es gibt nur einen einzigen Ort, wo Musik wirklich „ist“: In Ihrem Kopf!
Aus dem Radio kommen auch nur Schallwellen, die sich erst in unserem Kopf zu Musik zusammensetzen.
Und da sich Musik nur im Kopf des Einzelnen bildet, hat man auch nichts „festes“, was man objektiv untersuchen kann. Eine mögliche Frage, nämlich was Musik allgemein ist, wie sie aufgebaut ist und vor allem wie sie im menschlichen Gehirn verarbeitet wird, beantwortet, leider auch noch recht wenig, die Musikpsychologie.
Aus dem Bereich Entwicklungspsychologie der Musikpsychologie erkennt man, daß Kinder einen bestimmten Entwicklungsplan auch in der Musik durchlaufen. Zuerst können sie nur mit Melodiekonturen umgehen, und dies steigert sich immer mehr, bis sie schließlich mit etwa 8 Jahren beim Singen in der Tonart bleiben, „falsche“ und „richtige“ Liedbegleitungen erkennen, etc. Mit etwa 8 Jahren sind also schon zwei Faktoren wirksam geworden: Zum einen der Einfluß der Umwelt, also der Kultur, zum anderen haben sich die geistigen Fähigkeiten des Kindes soweit ausgebildet, daß es in der Lage ist, Intervalle, also bestimmte Tonabstände, zu erfassen und auch an einem Grundton/einer Tonart zu vergleichen.
Hier sieht man sehr schön die Verbindung von Musikverarbeitung und geistigen Prozessen, denn aus der (allgemeinen) Psychologie kommt das Modell der Geistigen Entwicklung bei Kindern von J. Piaget, das ziemlich parallel zu den Erkenntnissen in der Musikentwicklung die Entwicklung von geistigen Operationen beschreibt, und die entsprechende Fähigkeit, diese logischen Operationen wie eben das Vergleichen von Intervallen an einem Grundton, erlangen Kinder auch bei Piaget erst mit etwa 8 Jahren.

Wie wirkt sich jedoch nun die Kultur historisch gesehen auf die Musik aus?
Die Kultur wirkt sich in sehr vielfältiger Weise aus - vor allem individuell gesehen. Wenn man jedoch die Musik kompletter Kulturen miteinander vergleicht, so ergeben sich teilweise größere Unterschiede.
Ein Beispiel ist die unterschiedliche Gewichtung der Parameter in der Musik: Melodie, Harmonie, Klang, Rhythmus, Form. Denn die Wahrnehmung dessen ist stark abhängig von unserem Auffassungs- und Verarbeitungsvermögen, von unseren geistigen (kognitiven) Ressourcen. Afrikanische Kulturen verwenden viele und komplizierte Rhythmen. Damit die Musik trotzdem verständlich bleibt, mußten andere Parameter daher vereinfacht werden, besonders Melodie und Harmonie.
Arabische Kulturen haben in ihrer Musik eine komplexe Melodie, sowie ein Tonsystem von 22 (!) Tonstufen - hier wurde die Mehrstimmigkeit und der Klang stark vereinfacht, Mehrstimmigkeit kommt fast garnicht vor.
In unserer Kultur, die von uns häufig gerne stolz als qualitativ hochwertig angepriesen wird, sind zwar die Parameter Mehrstimmigkeit und Harmonie stark entwickelt, auf der anderen Seite jedoch Parameter wie Melodie und Rhythmus weniger. Zudem vereinfachen wir noch den Rhythmus, indem wir ihn in Takte, also kleine, leichter zu verarbeitende Einheiten, einteilen.

Hätten Sie das gedacht? Das, was wir oft als Selbstverständlichkeit und als Grundlage von Musik ansehen, ist nichts anderes als eine kulturelle Konstruktion!
Unsere Takte, unsere Rhythmen, unser Tonsystem, unser Verhältnis der einzelnen Parameter untereinander, alles ist von der Kultur bestimmt.

Nun sind wir aber genauso schlau wie vorher, und das außerirdische Männchen weiß nun immer noch nicht richtig, was Musik ist - nur wir wissen nun ersteinmal, daß „unsere“ Musik nicht „die“ Musik ist, daß es kulturell unterschiedliche Formen gibt, und worin diese Unterschiede (grob gesehen) bestehen.
Ganz im Gegenteil: Nun sind eher noch viele weitere Fragen um die Musik hinzugekommen - dies ist doch ein idealer Ansatz, um über die „Kunst der Musen“ nachzudenken - oder?

(c) 2002
Karsten Schäfer

eMail:
musik@
karstenschaefer.de

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