Psychologie
Psychologie verstehen: Bewusstsein

Die Tipps sind in folgende Kategorien unterteilt:

  Einleitung     Was ist das Bewusstsein?     Aufmerksamkeit     Erweiterung der Aufmerksamkeitskapazität  

  Einleitung

Was passiert in Ihrem Bewußtsein?
Diese Frage wird Sie, wenn Sie versuchen sie zu beantworten, vermutlich eine Weile lang beschäftigen.
Was beschäftigt Sie daran?
Diese Frage wird Sie nun auch wiederum eine Weile beschäftigen.
Warum wird auch diese Frage Sie intensiv beschäftigen?
Weil Sie versuchen, an sich selbst zu definieren und herauszufinden, was in Ihrem Bewußtsein passiert, und zu überlegen, inwieweit dies zutrifft; Sie müssen Ihre Gedanken und Ideen abwägen. Diese Methode ist in der Psychologie genauso bekannt wie umstritten: Die sogenannte Methode der Introspektion, weil man „in sich selbst“ schaut.
Um das Bewußtsein zu verstehen muß man sich Fragen stellen wie: Was ist überhaupt das Bewußtsein? Was gelangt warum und wie ins Bewußtsein, also wie werden Bewußtseinsvorgänge gesteuert?
Daher geht es nun erst einmal um eine genauere Definition.

  Was ist das Bewusstsein?

In der Psychologie wird das Bewußtsein als einen Zustand bezeichnet, in dem zu einem bestimmten Zeitpunkt alle (aktuellen) Gedanken, Empfindungen, Bilder, Wahrnehmungen und Wünsche enthalten sind. Diese Inhalte können uns bewußt werden - wir sind uns also meist bewußt über das, was wir tun oder denken. Und dieses Bewußtsein führt zu einer wichtigen Erfahrung für uns, nämlich die Erkenntnis unseres „Selbst“, d.h. das Bewußtsein seiner eigenen Person.
E. Tulving (1985) berichtet von einem Patienten, bei dem genau diese Fähigkeit aufgrund einer Verletzung der entsprechenden Gehirnregion ausgefallen war, die zuständig ist für Planungsprozesse und die Zeitdimension. So war dieser Patient im Alltag nicht ungewöhnlich auffällig, hatte sogar ein Gefühl für die Uhrzeit, jedoch nicht für die persönliche Zeitperspektive und somit auch keine zeitliche Systematisierung seiner Biographie. So weiß dieser Patient nie, was er einen Tag zuvor getan hat oder was er am nächsten Tag tun wird: „Er lebt in einem Zustand ‚permanenter Gegenwart‘; und das, ohne in irgendeiner Weise über sein fehlendes Bewußtsein seiner Beziehung zu Vergangenheit und Zukunft geängstigt zu sein.“ (S. 164).

Es gibt also eine Menge von Informationen, die ins Bewußtsein gelangen können. Aber es können natürlich nicht alle dieser verschiedenen Inhalte im Bewußtsein gleichzeitig verarbeitet werden, es muß also eine Selektion stattfinden, die die große Informationsmenge eingrenzt und nach gewissen Regeln und Ursachen bestimmte Inhalte oder Informationen „bewußt macht“; diese Anpassung geschieht durch die Aufmerksamkeit, welche im nachfolgenden Abschnitt näher erläutert wird.
Eine andere Art der „Selektion“ geschieht automatisch durch die verschiedenen vorhandenen Formen des Bewußtseins; z.B. wenn Sie beim Lesen dieses Textes nicht die Vögel oder den Verkehr von draußen „gehört“ haben, liegt das genau an solchen unterschiedlichen Bewußtseinsformen, denn diese Informationen sind zwar vorhanden, gehören aber zu den nicht beachteten Informationen; wahrscheinlich werden Sie nun auch nicht an den vorletzten Geburtstag Ihrer Mutter o.ä. denken, denn dies ist unwichtig und gehört zu den vorbewußten Erinnerungen.
Zusammengefaßt gibt es also folgende Formen des Bewußtseins:

  • Nicht bewußte Prozesse


    Körperliche Prozesse, die normalerweise nicht bewußt werden (z.B. Blutkreislauf, Atmung, etc.)

  • Nicht beachtete Informationen


    Man ist meist von einer Vielzahl von Informationen umgeben, die man aber nicht alle gleichzeitig bearbeiten kann; man konzentriert sich daher auf bestimmte Informationen, wobei die übrigen Informationen jedoch weiter vorhanden sind aber nicht (bewußt!) beachtet werden

  • Vorbewußte Erinnerungen


    Dies sind Informationen bzw. Erinnerungen, die einem erst dann bewußt werden, wenn man auf sie „aufmerksam“ wird; diese Vergleichsprozesse mit dem Inhalt des Gedächtnisses laufen permanent im Hintergrund ab und liefern parallel zu den gegenwärtigen Bewußtseinsinhalten die entsprechenden Informationen aus dem Gedächtnis dazu

  • Unbewußte Informationen


    Dies sind Informationen, die unserem Bewußtsein nicht zugänglich sind, wie z.B. die Grammatikregeln der Muttersprache. Diese Prozesse laufen unbewußt ohne jegliche Steuerung des Bewußtseins ab

  Aufmerksamkeit

Wie bereits gesagt sind wir ständig von einer großen Menge an Informationen umgeben, ihnen ausgesetzt - zu viel, als das wir sie noch in irgendeiner Weise bearbeiten könnten. Es muß daher einen Vorgang geben, der unser Bewußtsein auf wenige, bestimmte Informationen ausrichtet, und das ist die Aufmerksamkeit.
Auch wenn man Aufmerksamkeit meist eher mit einem Prozess, einem Vorgang, vergleicht, so ist es doch sinnvoller, die Definition versuchen zu verstehen und zu verwenden, die die Psychologie nutzt: Nach ihr ist Aufmerksamkeit „(...) ein Zustand konzentrierter Bewußtheit, begleitet von einer Bereitschaft des zentralen Nervensystems, auf Stimulation zu reagieren.“ (S. 166)
Denn dieser Ansatz erklärt einiges besser als die Definiton des Prozesses - so macht er deutlich, daß Aufmerksamkeit nicht an einen „Ort“ im Gehirn gebunden ist, wie oft im Volksmund angenommen.

Wie soll man nun diesen Zustand, der an keinen Ort gebunden ist, erforschen?
Der britische Forscher D. Broadbent war es, der 1958 in seinem Buch eine Reihe von Ideen zur Aufmerksamkeit vorstellte und somit die Forschung über die Aufmerksamkeit wieder interessant machte. Er entwarf die Theorie von der Aufmerksamkeit als Filter: Wie bei einem Radio werden nur die Informationen ins Bewußtsein gelangen, auf die der Sender/der Suchlauf bzw. die Aufmerksamkeit gestellt/gerichtet ist. Dabei ist natürlich der Filter ein stark begrenzender Faktor.
Und in der Tat bestätigten einige Versuche auch seine Theorie: Sie zeigten mit der Methode des sogenannten dichotischen Hörens, daß man sich nicht auf zwei Informationsquellen gleichzeitig konzentrieren kann. In ihren Versuchen bekamen die Versuchsteilnehmer einen Kopfhörer aufgesetzt, auf dem für jedes Ohr verschiedene Informationen gespielt wurden (z.B. Zahlenreihen, Geschichten, etc.) und die Versuchsteilnehmer sollten nur einer Informationsquelle folgen.
Es stellte sich heraus, daß die Informationen, die auf dem nicht beachteten Ohr ankamen, später nicht mehr erinnert werden konnten, selbst wenn die Geschichte in einer anderen Sprache gesprochen wurde oder das Tonband rückwärts lief. Erstaunlich ist jedoch, daß eben doch nicht alle Veränderungen unbemerkt blieben: Die inhaltliche Komponente blieb zwar immer unbemerkt, nicht jedoch größere physikalische Veränderungen wie eine Veränderung der Tonhöhe (z.B. wenn anstelle eines männlichen Sprechers ein weiblicher Sprecher die Geschichte weiter vorlas) - diese wurden (jedoch ohne das sie ins Bewußtsein gelangten) verarbeitet.
Broadbent erweiterte seine Theorie, indem er einen Zwischenspeicher (einen ‚Buffer‘) einbaute, in welchem bestimmte, erwünschte Informationen für kurze Zeit zwischengelagert werden. Wenn sie innerhalb dieser Zeit nicht aufgenommen und verarbeitet werden, würden sie auch wieder gelöscht.
Er zeigte dies auch an seinen Versuchen, indem Versuchsteilnehmern auf jeder Seite eines Kopfhörers eine kurze Zahlenreihe gegeben wurde mit der Anweisung, beide Zahlenreihen wiederzugeben. Die Teilnehmer gaben die Zahlen aber nicht abwechselnd von dem einen und dann von dem anderen Ohr wieder, sondern sie sagten erst die komplette Reihe des einen, dann des anderen Ohres auf - nach Broadbent hat der Filter sich also erst auf die Informationen des einen Ohres, danach auf die Informationen des Buffers eingestellt.
Spätere Untersuchungen ergaben jedoch, daß die Filtertheorie nach Broadbent in Frage zu stellen ist und korrigiert werden muß. Einen Effekt, der gegen die Filtertheorie spricht, kennen Sie sicher, die berühmte ‚Partysituation‘: Sie sind auf einer Party, auf der sehr viele Gäste sind, die wild durcheinander reden. Aber trotzdem gelingt es Ihnen, die Worte Ihres Gesprächpartners zu verstehen (dies liegt zum einen an der Ausrichtung der Aufmerksamkeit auf ihn, zum anderen an den guten Vorgängen des Wahrnehmungsprozesses, denn da Sie sicher nicht alles richtig verstehen, müssen kognitive Prozesse Wortlücken ergänzen indem sie z.B. abwägen, welche Wörter möglich sind und welche in diesem Zusammenhang am besten passen - dies ist dann das berühmte ‚Aha!‘- Erlebnis, wenn man nachfragt was der andere gesagt hat und einem die Antwort dann doch noch plötzlich wenig später einfällt), und zudem, und das ist das erstaunliche, gelangen eben doch bestimmte Informationen in Ihr Bewußtsein, z.B. wenn Ihr Name in der Menge genannt wird, bemerken Sie das meist sofort.

Man geht also heute davon aus, daß Aufmerksamkeit eher ein gradueller Prozess ist und nicht nach dem ‚Alles-oder-Nichts‘- Prinzip funktioniert. Auch die Informationen, die nicht bewußt beachtet werden, werden also verarbeitet - wenn auch nicht komplett und nicht bewußt.
Ein weiteres Beispiel aus der Praxis zeigt, wie weitreichend die Konsequenzen sind:
Denn dieses Beispiel führt in die Krankenhäuser, zu den Operationen unter Narkose. Lange Zeit berichteten immer wieder aufmerksame Ärzte von seltsamen Vorgängen der Patienten bei einer Operation, die bis zum völlig unerwarteten Herzstillstand oder sogar Tode gingen.
Man stellte Vermutungen und Theorien an, und 1990 untersuchte John Kihlstrom die allgemein angenommene Theorie, daß Patienten selbst unter der Vollnarkose in der Lage sind, unbewußt die Gespräche um sie herum am Operationstisch aufzunehmen und verarbeiten zu können. Und genau dies bestätigte sich auch in seinen Untersuchungen. Er konnte zwar nicht genau nachweisen, wie weit zusammenhängende Sätze verstanden werden, da er nur die Erinnerungsleistung testete, aber diese Ergebnisse waren eindeutig: Patienten konnten sich nach der Operation an ihnen während der Operation vorgelesene Wortlisten erinnern (allerdings nicht bewußt, sondern nur unbewußt, d.h. sie konnten diese Erinnerung nicht kontrolliert und gezielt hervorbringen)!

  Erweiterung der Aufmerksamkeitskapazität

Die Fähigkeit zur Aufmerksamkeit und somit zur bewußten Informationsverarbeitung ist also begrenzt, sie hat eine auf den ersten Eindruck recht knappe Kapazität. Aber dieser Eindruck täuscht, denn zur Informationsverarbeitung gehören noch einige weitere, elementare Prozesse: Neben dem zentralen ‚Zustand‘ der Aufmerksamkeit gibt es Prozesse, die parallel ablaufen und (unbewußt) durch die Aufmerksamkeit gesteuert und gelenkt werden.
Die Automatisierung ist ein solcher Prozess, der unabhängig von der bewußten Verarbeitung abläuft - dies werden Sie sicher auch schonmal erfahren haben, meist in sogenannten ‚Entdeckungsaufgaben‘, in denen man einen bestimmten Reiz in einem Feld von verschiedenen Reizen ‚entdecken‘ muss.
Weitere solcher Prozesse, die die Kapazität der der Aufmerksamkeit erhöhen, sind die vielfältigen, unbewußt ablaufenden Wahrnehmungsprozesse. Denn daß Sie aus dem Haus gehen und Ihr Haus als Haus erkennen, daß Fenster und Türen hat, daß Sie die Straße identifizieren und Autos erkennen, ist ja keine natürliche Eigenschaft oder Fähigkeit, sondern dies ist auch nur das Ergebnis einer ständigen Informationsverarbeitung: Verschiedene Informationen und Reize, wie die Oberflächen, die Grundformen der Objekte, deren Anordnung,usw., werden zu den entsprechenden Einheiten zusammengefaßt und dann als Autos, Häuser,.... erkannt.
Aber diese Prozesse laufen, obwohl Sie vielleicht bewußt Ihre Aufmerksamkeit auf Ihr Haus gerichtet haben, unbewußt ab und schränken die Kapazität der Aufmerksamkeit nicht ein, sondern im Gegenteil: Sie erhöhen sie dadurch.

(Die Seitenangaben beziehen sich auf Zimbardo/Gerrig: "Psychologie", 7. Auflage, Springer- Verlag Heidelberg, was allen Artikeln hier als Grundlage diente)

(c) 2002
Karsten Schäfer

eMail:
psychologie@
karstenschaefer.de

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