Psychologie
Thema: (Ehe-)Scheidung

Inhalt:

  Einführung     Kann man das Scheitern einer Beziehung voraussagen?     Wie wirkt sich eine Scheidung auf die Betroffenen aus?     Wie stark sind die Folgen für Kinder?  

  Einführung

In den letzten Jahren ist in unserer Gesellschaft eine kontinuierlich ansteigende Zahl von Ehescheidungen festzustellen. Alleine in dem Zeitraum von 1991 bis 1999 hat ihre Zahl um 50.000 zugenommen, wie eine Statistik es zeigt (Quelle: Statistisches Bundesamt: "Das statistische Jahrbuch 2000"):

Jahr

Anzahl der Scheidungen

1991:

136.317

1992:

135.010

1993:

156.425

1994:

166.052

1995:

169.425

1996:

175.550

1997:

187.802

1998:

192.416

1999:

190.590

Doch soll es in diesem Artikel nicht nur um die Trennung von Ehen gehen, sondern auch um die Trennung von Beziehungen, von Lebensgemeinschaften ohne ehelichen Trauschein. Egal ob mit oder ohne diesen Schein haben in beiden Konstellationen die Beteiligten nämlich mit den gleichen Problemen zu kämpfen (abgesehen von den Rechtlichen, die hier jedoch ausser Acht gelassen werden sollen): Beide Partner müssen mit der neuen Situation zurecht kommen, sich umorientieren, einen vielleicht eingefahrenen Alltag umstricken und meistens hat ein Partner zudem intensiv unter der Trennung zu leiden.
Und nach einer gewissen Zeit kommt auch oft die quälende Frage hinzu, ob die Trennung richtig war? Diese Frage belastet häufig den Partner, der die Trennung wollte, und nach einiger Zeit des Abstandes immer öfter feststellt, dass die alte Beziehung doch nicht so schlecht war wie er es immer glaubte.
Komplizierter wird die Situation, wenn Kinder mit im Spiel sind. Dann geht es nämlich nicht nur um die beiden Partner, sondern auch um das Wohlergehen ihrer Kinder - wobei man in der Praxis häufig den Eindruck bekommt, dass die Entscheidung eher zugunsten des Wohlergehen der beiden Partner als das der Kinder geht.
Häufig müssen sich Betroffene dann die Vorwürfe anhören, dass sie durch die Trennung ihre Kinder unglücklich machen, ihnen eine schlechte Basis für ihre weitere Entwicklung verschafft haben und sie sich nicht wundern sollen, wenn die Kinder zu "Problem"- Kindern werden.
Aber auch ohne diese Vorwürfe von aussen machen sich in der Regel die Betroffenen diese Gedanken, die zu den anderen Problemen zusätzlich hinzukommen und sehr belasten können.
Was tun in solchen Situationen? Was sind die richtigen Antworten auf solche Fragen? Hätte man schon zu Beginn der Beziehung merken können (wenn man gewollt hätte), dass diese Beziehung eigentlich nicht lange Bestand halten kann?
Dieser Artikel kann (!) keine endgültigen Antworten auf viele dieser Fragen geben - er kann lediglich ein paar Anworten auf ein paar Fragen suchen, und Hinweise geben auf Fragen wie z.B.: ob und wie stark Kinder unter einer Trennung ihrer Eltern leiden.

  Kann man das Scheitern einer Beziehung voraussagen?

Zunächst soll es um die Frage gehen, ob man bereits zu Beginn einer Ehe, Beziehung oder Partnerschaft Anzeichen erkennen kann, die darauf hinweisen, dass die Beziehung wahrscheinlich nicht sehr glücklich oder gar in eine Trennung läuft. Denn wenn man solche Hinweise feststellen kann, dann hat man hier auch die Möglichkeit, einer Trennung vorzubeugen und die Beziehung zu verbessern.
In der Psychologie gibt es dazu aus dem Jahr 1993 eine Untersuchung von L.A. Kurdek, einem amerikanischen Psychologen, der über einen Zeitraum von fünf Jahren 286 frisch verheiratete Paare jährlich befragte. Nach diesen fünf Jahren waren bereits 64 dieser Ehen wieder beendet, und Kurdek fragte sich demzufolge, ob man bei diesen geschiedenen Paaren schon zu Beginn der Ehe einen Unterschied feststellen konnte im Vergleich zu den anderen Paaren, die nach fünf Jahren immer noch verheiratet waren. Und tatsächlich erbrachten seine Untersuchungen, dass in sehr vielen Bereichen bereits schon am Anfang (!) der Ehe sich die Gruppe der Paare, die sich nach fünf Jahren trennten von der Gruppe der Paare, die immer noch verheiratet waren, erkennbar unterschieden! Mit anderen Worten: Bereits zu Beginn der Ehe kann man zwar das Scheitern der Beziehung nicht vorhersagen, aber dennoch die Wahrscheinlichkeit dafür feststellen.

Interessant ist nun die Frage, woran man ein Scheitern erkennen kann. Kurdek hatte in seiner Untersuchung dies unter verschiedenen Aspekten untersucht; sogenannte Risikofaktoren, also Gegebenheiten, die zum Scheitern der Ehe beitragen können, waren in seiner Untersuchung: Geringes Einkommmen des Mannes, niedriges Bildungsniveau der Frau (wobei man diese Rollenverteilung sicher an die heutige Zeit anpassen müsste), wenn ein Partner bereits eine Scheidung hinter sich hatte, kurze Bekanntheit des Paares, das Führen von getrennten Kassen sowie, was nicht sonderlich überraschend ist, wenn einer der Partner extreme oder unrealistische Vorstellungen zu Aspekten hat, welche die Beziehung betreffen.
Noch deutlicher wird eine Studie aus dem Jahre 1994 (Walper, Schneewind und Gotzler). Auch hier wurden wieder frisch verheiratete Paare über einen Zeitraum von fünf Jahren jährlich befragt, jedoch waren diesmal hauptsächlich zwei Faktoren interessant: Auf der einen Seite die Sichtweise, in der mehr das Individuum im Vordergrund steht, das Motto lautet hier: "Ich kann meine Probleme gut alleine lösen", auf der anderen Seite eine Sichtweise, in der mehr das Gemeinsame im Vordergrund steht: "Wir sind als Paar ein starkes, funktionierendes Team und können so gut mit Problemen fertig werden".
An diesen beiden Faktoren, also wie stark sie jeweils in einer Beziehung verteilt sind, konnte man recht deutlich erkennen, ob eine Beziehung scheitert oder nicht.
Denn bei den gescheiterten Beziehung herrschte bei den Partnern stärker das Motto, dass jeder seine Probleme alleine lösen könne - die Sichtweise, als Team die Probleme zu lösen, war hingegen sehr schwach ausgeprägt. Bei den Ehen, die auch noch nach fünf Jahren verheiratet waren und auch keine größeren Probleme hatten, war dies genau umgekehrt: Die Individuelle Sichtweise war kaum vorhanden, stärker diese Sichtweise des "Gemeinsamen" - aber noch viel deutlicher und häufiger traten diese Sichtweisen kombiniert auf.

Was kann man nun aus diesen Ergebnissen herauslesen? Zum einen natürlich, dass eine Beziehung problematisch wird, wenn nur ein Partner beginnt, sich mehr auf sich selbst als auf die Beziehung, also auf das "Gemeinsame", zu konzentrieren.
Zum anderen aber auch, und das ist das Interessante, dass man diese beiden Sichtweisen gleich gut entwickeln muss! Diese Sichtweisen sind ja nichts anderes als die Fähigkeit, zum einen aktiv an sich selbst zu arbeiten, sich zu verändern, selbstbewußt zu handeln und zum anderen aktiv an der Beziehung zu arbeiten, sie als einen sich ständig verändernden Prozess zu begreifen, als eine "spezielle" Bindung zwischen zwei individuellen Personen und nicht als einen "Ist-" Zustand.
In der eben genannten Untersuchung gab es auch eine Gruppe von Ehepaaren, bei denen eben diese gemeinsame Ausprägung dieser beiden Sichtweisen oder besser "Fähigkeiten" sehr gering war - das war genau diese Gruppe, in deren Ehen es einige Probleme gab, in denen die Stimmung nicht sehr gut war, aber beide den Zustand weiter ertrugen und sich nicht trennten.

Voraussagen kann man das Ende einer Beziehung also niemals absolut sicher. Aber es gibt in der Tat einige Merkmale, an denen man schon zu Beginn einer Beziehung sagen kann, dass sie problematisch für die Beziehung werden könnten. Wenn man diese erkennt, sollte man sich von diesen dann aber auf keinen Fall entmutigen lassen sondern sie als Chance nutzen, um an der gemeinsamen Beziehung zu arbeiten - wer dazu jedoch nicht bereit ist, der sollte sich vielleicht doch einmal über die Ernsthaftigkeit seiner (Beziehungs-) Absichten Gedanken machen.

  Wie wirkt sich eine Scheidung auf die Betroffenen aus?

Eine Scheidung ist ein Ereignis, das sehr tief in den Lebensalltag eindringt. Und da dieser Eingriff auf so vielfältiger Weise und vielen Ebenen stattfindet, erlebt jeder Mensch dieses Ereigniss anders. Häufige gemeinsame Merkmale nach oder während einer Scheidung sind Gefühlschaos, Stimmungsschwankungen, Unwohlsein und manchmal sogar Depressionen.
Aber grade weil der Eingriff so tief, gravierend und umfassend ist, birgt er auch grosse Gefahren in sich - denn es kommt nicht selten vor, dass Menschen dadurch in eine grosse Lebenskrise geraten, aus der sie nur schwer, manchmal sogar garnicht wieder herauskommen.
Wie ein Mensch jedoch mit diesem Ereignis umgeht und wie gut oder weniger gut er es verarbeiten kann, das hängt im Wesentlichen von zwei Faktoren ab: Zum einen den persönlichen "Ressourcen" und zum anderen von den persönlichen "Stressoren". Unter den "Ressourcen" versteht man alles das, was ihn positiv unterstützend zur Seite steht, wie z.B. ein funktionierendes Netz von Freunden, Bekannten, gewohnte Einrichtungen, etc. und "Stressoren" sind Einflüsse, die ihn belasten und stören, z.B. Vorwürfe von Bekannten oder aber auch die persönlichen Fähigkeiten, mit neuen Situationen umzugehen.
Oft ist es also sehr hilfreich, wenn man seine Situation nach diesen zwei Aspekten durchforstet und sie so einteilt: In die Ressourcen und in die Stressoren, um dann bewusst sich von den Stressoren, falls möglich, fernzuhalten.

  Wie stark sind die Folgen für Kinder?

Die weit verbreitete Meinung ist ja, dass eine Ehescheidung deutliche negative Folgen für die Kinder habe.
Wenn man jedoch genauer nachfragt, warum dies so ist, dann findet man kaum stichhaltige Nachweise sondern meist nur "Meinungen", man geht also davon aus, dass Kinder durch eine Scheidung nachhaltig negative Folgen davontragen.
Um dieser Frage nun genauer nachzugehen und statt Meinungen endlich stichhaltige Nachweise zu bekommen darüber, wie es wirklich ist, führten einige Psychologen dazu Untersuchungen durch. Und alle Untersuchungen kommen zu dem gleichen grundsätzlichen Ergebnis, dass die Folgen für Kinder lange nicht so negativ sind wie allgemein angenommen wird. Zwar zeigen auch diese Untersuchungen, dass sich Scheidungen negativ auf Kinder auswirken, aber Unterschiede zwischen Scheidungs- und Nicht-Scheidungs-Kindern waren nur sehr gering. Höchstens im Verhalten wurden leicht grössere Unterschiede festgestellt, aber einige Untersuchungen stellten auch fest, dass solche "Verhaltens- Schwierigkeiten" der Kinder oft schon vor der Scheidung der Eltern festzustellen waren.
Da Kinder abhängig von ihren Eltern sind und sich als Person noch entwickeln, bedeutet solch eine Trennung natürlich noch etwas ganz anderes als für die Eltern, da die Eltern für sie die nähesten Bezugspersonen sind, die vertrauten Menschen, die sie herangezogen haben, die ihnen ein Netz aus Liebe, Sicherheit und Geborgenheit geben - anders ausgedrückt: Die Eltern und die Familie ist für sie eine sogenannte "Home- Base" (und je jünger sie sind desto stärker natürlich), also die vertraute "Heimat- Station", die sehr wichtig für sie ist und von der aus sie ihre Welt erkunden und sich ein eigenes Bild der Welt aufbauen.
Eine Scheidung bedeutet nun eine regelrechte Zerstörung dieser "Home-Base", dieses empfindlichen Netzes. Daher können Kinder sehr unterschiedlich und sehr extrem in solchen Situationen darauf reagieren, häufige Reaktionen schon im Vorfeld einer Scheidung sind z.B. Angst, Verunsicherung, Wut oder Trauer.

Vielfach wird auch die Meinung vertreten, dass solche Trennungen für Kinder auch als Chancen zu sehen seien und man versucht so, die Sorgen um die Konsequenzen für Kinder zu minimieren wenn man sagt, daß sie nun früher lernen müssten, ihr Leben zu ordnen und selbständiger zu sein. Diese Ansicht halte ich jedoch für zu riskant, denn damit Kinder sich in dieser Weise entwickeln, müssen sie schon bestimmte persönliche Voraussetzungen haben. Kinder, die diese nicht haben oder bei denen die Umwelt für sie ungünstig ist, werden so in dieser Sichtweise zu Aussenseitern und geraten in die Gefahr, vergessen zu werden.
Meiner Meinung nach darf es aber auch nicht passieren, dass die Ergebnisse der psychologischen Untersuchungen zu übertriebenem Leichtsinn führen: Scheidungen gehören sicher nicht zu der normalen bzw. idealen Entwicklung eines Kindes und wirken sich immer negativ aus. Psychologische Untersuchungen (und nicht nur diese) bedeuten nämlich keinen "Frei- Fahrt- Schein", gerade bei solchen Problematiken stellt man erst mit den Jahren fest, welche Folgen wirklich entstanden sind. Dieser Frage ist man in der Psychologie dann auch nachgegangen, und in der Untersuchung der "Spätfolgen" ergab sich, dass Erwachsene, die als Kind eine Scheidung der Eltern miterlebten, generell eine Einbuße an Lebensqualität hatten. Dies zeigte sich besonders im Verhalten, in der persönlichen Lebenszufriedenheit aber auch in der Beziehungsfähigkeit, da ihre Scheidungsrate höher lag als bei Erwachsenen, die keine Scheidung der Eltern miterlebt hatten. Auch scheint es, als ob ihre berufliche Ausbildung darunter litt, weil sie ein niedrigeres Ausbildungsniveau hatten als die andere Gruppe.

Spätfolgen sind aufgrund der Komplexität nur sehr schwer zu untersuchen, und dieses derzeitige Bild, was man aus den Untersuchungen erhält, ist daher immer noch als unvollständig zu betrachten. Sicher ist jedoch, das Scheidungen negative Folgen für Kinder in vielen Lebensbereichen haben, jedoch wohl nicht so intensiv, wie immer angenommen wurde. Grössere Probleme gibt es für Kinder hingegen im Bereich des Verhalten und der sogenannten sozialen Fähigkeiten (d.h. die Fähigkeit, mit anderen Menschen zu kommunizieren, zu handeln, sich zu helfen, etc.).
Oft versuchen Eltern die Situation für die Kinder zu erleichtern, indem sie ihre räumliche Trennung so gering wie möglich halten. Aber es stellt sich natürlich die berechtigte Frage, ob diese Lösung den Kindern wirklich hilft? In der Psychologie deutet vieles auf eine Theorie hin, die diese Frage mit "nein" beantworten würde, denn es ist wohl nicht die räumliche Trennung, die Kinder so Schwierigkeiten macht und hauptsächlich zu den negativen Folgen führt, sondern vielmehr die belastende zwischenmenschliche Situation bzw. Beziehung der Eltern untereinander und in der Familie.
Angesichts dieser Erkenntnisse wirkt es in der Tat regelrecht "lächerlich", wenn Eltern versuchen, durch neue Kinderzimmer und teure neue Spielzeuge die glückliche Welt der Kinder und deren Liebe und Vertrauen wieder zurückzu"erkaufen".

Zum Abschluss sei auch nochmal darauf hingewiesen, dass jeder Streit und Konflikt unter den Eltern sich nicht gut auf ein Kind auswirkt - egal ob mit oder ohne dem Hintergrund einer Scheidung.

Literatur: Rolf Oerter, Leo Montada (Herausgeber): "Entwicklungspsychologie", 4. Auflage 1998, Psychologie Verlags Union, Weinheim

(c) 2002
Karsten Schäfer

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